Sonntag, 8. Januar 2012

Hochliteratur

Bastei-Lübbe-Geschäftsführer Klaus Kluge über die Zukunft des von der Lübbe-Verlagsgruppe gekauften Eichborn-Verlags:
„Das Programm soll in Abgrenzung zu dem Wohlfühl-Programm des Popularverlags Bastei Lübbe provokativ und aktuell sein, es soll all das machen, was Lübbe nicht abgenommen würde. Auch Hochliteratur und politische Bücher.“
„Ich sage mal: Eine Helene Hegemann oder ein Sascha Lobo wären da gut aufgehoben.“
O je. Das ist heutzutage Hochliteratur? Und ich Depp dachte, ich könnte mit meiner Vorliebe für Brecht, Mann und Nabokov noch irgendwie punkten. Schön wär’s. Wenn man das so hört, dann sieht die Zukunft aber wohl eher so aus, dass man sich in der U-Bahn, im Café oder in der Arbeitspause mit einem verlegenen »Ja, klar, ist so für zwischendurch. Ich lese aber auch ganz andere Sachen, Hegemann und Lobo zum Beispiel.« rechtfertigen muss, und zwar unabhängig davon, ob man einen Gedichtband von Eduard Mörike oder einen Schmöker von J.K. Rowling dabei hat. Andererseits eröffnet das doch ganz neue, bislang ungeahnte Bündnismöglichkeiten, oder?

(Quelle)

6 Kommentare:

molosovsky hat gesagt…

Hegemann und Lobo sind Hochliteratu, jau, scho gut. — Ich finde es erhellend, dass dieser Verlagsmensch einen Begriff wie ›Wohlfühlliteratur‹ tatsächlich für die Außenkommunikation gebraucht. — (Wieder einmal mehr muss ich seufzen, dass Miéville, dieser alte Wohlfühlphantast, auf Deutsch bei Bastei erscheint.)

Murilegus rex hat gesagt…

Jede Definition von ›Hochliteratur‹ ist halt mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass solche sich letztlich erst nachträglich, durch Kanonbildung, bestimmen lässt. Das wirft natürlich auch Marketingprobleme auf, weshalb im englischen Sprachraum literary fiction vom Gegenteil von Genreliteratur zu einem Genre unter anderen geworden ist — Etikettierung erleichtert den Verkauf. Vielleicht blüht uns hier mit Roche, Hegemann, Lobo und solchem Zeug ja was ähnliches?

molosovsky hat gesagt…

Wenn die Lobos und Roches nun zur deutschen ›Literary Fiction‹ hinaufdefiniert werden, was soll dann aus Handtke, Klein, Moosebach, Tellkamp und Co werden?

Murilegus rex hat gesagt…

Bei Spiegel Online ist im Dezember ein Artikel »Das Ende der Neocons« erschienen, demzufolge in der deutschen Literatur »das einstige Reiz- und Kampfwort Bürgertum abgenutzt« sei. Ob dem so ist, weiß ich nicht — und auch nicht, ob es dadurch besser wird. Im Grunde drehte es sich bisher doch immer nur darum, ob die Familienromane und Bürgertumsbeschwörungen gerade die Oberhand haben oder die Fräuleinwunders, Popliteraten und digitalen Bohemiens: Sollten zur Abwechslung mal letztere die Macht ergreifen, gehen die anderen halt in die Opposition.

Susanne Gerdom hat gesagt…

Aber es ist doch schon so, dass du als Exot angesehen wirst, wenn du gestehst, durchaus mit Genuss und großem Vergnügen so verstaubte Autoren wie Jean Paul, Dickens oder Fontane zu lesen. Vorausgesetzt, dein Gegenüber weiß diese Namen überhaupt einzuordnen. Und je nach Kontext kriegst du zu hören: Den Film hab ich gesehen. (Wie zum Beispiel in Sachen Michael Ende).
Wenn jemand aber sonst die fuffzehnte Wiederholung von Black Dagger oder Biss ins Abendbrot samt aller erhältlichen Klone dazu liest, dann ist eine Hegemann oder ein Lobo wahrscheinlich schon so was wie Hochliteratur. (Scheußlicher Begriff, btw. Da asht es mich ein bisschen ...)

Murilegus rex hat gesagt…

Eben, ich hatte beim Schreiben des Posts überlegt, ob nicht das Lesen von Jean Paul — um bei einem deiner Beispiele zu bleiben — ähnlich befremdlich wirken kann wie das von „richtiger“ Genreliteratur. Der Unterschied liegt vielleicht einfach darin, was gerade gehypet wird. Und wenn aufgrund des Hype-Faktors nun Hegemann und Lobo als „hochliterarisches“ Sahnehäubchen mit dem Wohlfühlprogramm von Bastei in einer Kiste landen, welche Auswirkungen hat das dann auf die Wahrnehmung sonstiger Literatur? Sollten Jean Paul und Dickens in der Wahrnehmung des Publikums genauso uncool werden wie klassische Fantasy, würde mich das ja auf gewisse Weise schon freuen. :-D

Konversation à la „Jane Austen? Gibt’s da nicht diese Filme?“ wird dadurch aber natürlich nicht weniger nervig.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.