Sonntag, 8. Dezember 2013

Die Zufallsmaschine

Alex Smart (jung, Brite, Allerweltstyp) reist quer durch die Vereinigten Staaten, um seiner Freundin Carey einen Heiratsantrag zu machen (was Carey umtreibt, erfahren wir zunächst nicht). Problem: Der Ring in Alex’ Tasche ist vielleicht die titelgebende Zufallsmaschine. Vielleicht auch nicht. Zufallsmaschine heißt, dass sich damit die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen beeinflussen lässt. Erfunden hat die Maschine ein exzentrischer Mathematiker, Nicolas Banacharski, der in einer abgelegenen Ecke Frankreichs in einer Hütte lebt. Wie die Maschine in Alex’ Tasche gelangte, ist unklar. Aber wie sich das für einen jungen Mann gehört, der ahnungslos in die Welt hinauszieht, wird er verfolgt: Das DEI ist das Direktorat für das Extrem Unwahrscheinliche, soll heißen, eine geheime Behörde, die für genau solche Fälle wie Alex’ Ring zuständig ist. Das DEI hält die Maschine für eine Waffe und möchte sie in die Hände bekommen.

Flashback. Banacharski, der brillante Wissenschaftler, wird durch den Mai ’68 politisiert und schmeißt seinen Lehrstuhl an der Sorbonne hin. Er wird immer eigentümlicher, schreibt seltsame Briefe und verschwindet schließlich von der Bildfläche – bis Isla Holderness, eine junge Mathematikerin, ihn in den Pyrenäen findet, wo er eine Einsiedlerexistenz führt. Ihre Kontaktaufnahme zu Banacharski wird in einem zweiten Handlungsstrang erzählt; Banacharskis Vorgeschichte dagegen nur kurz rekapituliert.

200 Seiten später ist nichts passiert. Alex tingelt noch immer durch die USA, während rings um ihn her bizarre Ereignisse geschehen, die vielleicht durch den Ring in seiner Tasche ausgelöst werden, der vielleicht Banacharskis Zufallsmaschine ist. Man hat beim Lesen nicht das Gefühl, dass er sich einem Ziel nähert. Er selbst ist auch nicht gerade übermäßig interessant. Eine Art Neil-Gaiman-Held, ein Allerweltstyp eben. Allerdings gibt es bei Gaiman meist eine spannende Handlung und liebenswerte Nebenfiguren. Holderness ist es zwar gelungen, das Vertrauen Banacharskis zu gewinnen. Aber nichts deutet daraufhin, dass aus ihrem Zusammentreffen irgendeine den Roman voranbringende Dynamik entstehen könnte.

Natürlich geht es in diesem Buch ums Paradoxe (mitsamt den obligatorischen Anspielungen auf Lewis Carroll). Logik, Mathematik und Physik sollen dazu benutzt werden, eine schräge Geschichte zu erzählen. Also wird am Ende wohl alles ganz anders sein, als man zu Beginn annimmt. Was wiederum nicht wirklich paradox ist, sondern einfach nur ein trope. Dennoch könnte das Buch spannend sein. Es wäre sogar möglich, dass die zweite Hälfte sehr viel mitreißender ist als die erste.

Ich hab’s trotzdem aufgegeben. Es gibt nämtlich noch ein zweites Problem mit Die Zufallsmaschine. Das Buch liest sich, als hätte Leith versucht, einen Roman von Matt Ruff zu schreiben. Stellenweise fühlt man sich so sehr an Bad Monkeys erinnert, wie man sich beim Lesen von The Sword of Shannara an den Lord of the Rings erinnert fühlt. Tatsächlich, auch wenn dieser Vergleich nicht zu falschen Schlussfolgerungen führen sollte. Hervorzuheben ist nämlich, dass Leiths Buch an keiner Stelle wie ein Rip-off wirkt. Eher wie das, was es wahrscheinlich auch ist: Der Debütroman eines Autors, der einem großen Vorbild nacheifern will.

Dabei müsste das alles – die unspannenden Figuren, der trödelige Plot, die Anleihen bei Ruff – nicht sein. Leith kann schreiben, er hat ein Gespür für witzige Szenen. Folgendes geht im Kopf eines Professors vor, der vom DEI entführt wird, um über seinen Kollegen Banacharski ausgequetscht zu werden:
Amerika war zwar ein totalitärer Feind der freien Rede, ermordete aber im Allgemeinen keine weißen Männer aus der Mittelschicht. Er würde Schmerzen erdulden, eloquente Reden halten und zu einer cause célèbre werden. Er stellte sich vor, wie Chomsky auf CNN über ihn referierte und Glenn Beck auf Fox über ihn herzog.
Beim Guardian schreibt Leith u.a. über C.S. Lewis, Christopher Priest und Stephen King. Seine Rezensionen sind ausgesprochen lesenswert. In Die Zufallsmaschine fehlt es nicht an Stil, es fehlt an Struktur und einer eigenständigen Idee. Sollte Leith es noch einmal mit einem Roman versuchen, bei dem ersichtlich ist, dass er das hat, was seinem Debüt fehlt – ich würde ihm gern noch einmal eine Chance geben.

Die Zufallsmaschine von Sam Leith (349 Seiten) ist bei Manhattan erschienen. Die Übersetzung besorgte Thomas Mohr.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.