Dienstag, 3. März 2009

Nachtrag zu einer Kontroverse: Erinnert sich noch jemand?

Wohl eher nicht. Vor etwa einem Jahr fand die Kontroverse um das religionskritische Kinderbuch Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel von Michael Schmidt-Salomon (Text) und Helge Nyncke (Illustrationen) statt. Am 6. März 2008 lehnte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien den Indizierungsantrag des Bundesfamilienministeriums ab und ließ die Debatte damit in der Vergessenheit versinken.* Im Rahmen der medialen Auseinandersetzung, die sich um den Indizierungsantrag entspannte, erhielt das Buch ein vielfaches der Aufmerksamkeit, die es aufgrund seiner ästhetischen Qualität eigentlich verdient hätte.

Die kritische Diskussion um die Qualität des Schmidt-Salomonschen Machwerks geriet durch die Kontroverse natürlich ins Hintertreffen, verschwand aber dankenswerterweise nicht ganz. Die ideologisch schlichten und intellektuell dünnen Grundannahmen, auf denen das Buch steht, wurden verschiedentlich durchaus bemerkt. Da ich die Debatte ob des latenten Widerwillens, den ich der vulgären Religionskritik, wie sie derzeit en vogue ist, entgegenbringe, nicht mit ungebrochener Aufmerksamkeit verfolgt habe, kann ich leider nicht sagen, ob auch der erste Kritikpunkt, den ich im Zusammenhang mit dem Buch habe, angesprochen wurde. Dieser Kritikpunkt entspricht mehr oder weniger dem, den ich im Zusammenhang mit Richard Morgans Polemik gegen Tolkien angebracht habe: Literatur für Kinder scheint in weiten Kreisen für etwas irgendwie und auf welche Weise auch immer minderbemitteltes gehalten zu werden. Bei Morgan äußert sich das in der Form, dass er Kinderbücher pauschal unterstellt, auf eine simplifizierende, keine Grautöne zulassende Darstellung von Gut und Böse angewiesen zu sein.

Schlimmer noch, weil dümmer, verhält sich in dieser Sache Schmidt-Salomon. Es gibt zwei Todsünden, die man im Spannungsfeld zwischen Kinder- und Erwachsenenliteratur begehen kann: Erstens, man beschließt, ein Buch für Erwachsene als Kinderbuch zu vermarkten (wie es zahlreichen Klassikern von Swift und Defoe bis hin zu Poe und Melville geschehen ist) und perpetuiert so die landläufige Meinung, dass für Schund gehaltene Erwachsenenbücher für Kinder gerade noch gut genug seien; und zweitens, man schreibt und veröffentlicht ein Buch, das formal als Kinderbuch gestaltet ist, sich in Wahrheit aber, über die Köpfe seiner jugendlichen LeserInnen hinweg, mit einem dümmlichen Augenzwinkern an Erwachsene richtet.** Letzterer Todsünde hat Schmidt-Salomon sich schuldig gemacht. Denn Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel ist nur vordergründig eine Geschichte über Schweinchen und Igel, die etwas interessantes erleben – eigentlich aber eine recht plump gehaltene Allegorie mit hölzerner Polemik, die wohl nur ebenso gehirnamputierten wie erwachsenen Brights Begeisterungsstürme entlocken kann.

Über die einzelnen allegorischen Darstellungen (sich prügelnde Geistliche als Sinnbild für Religionskriege etc.) will ich mich nicht weiter auslassen. Bemerkt sei nur, dass das allegorische Element auch in den Illustrationen vorhanden ist, wenn etwa der Zugang zu den Gotteshäusern der drei großen monotheistischen Religionsgemeinschaften als verwirrender Irrgarten gezeigt wird.*** Schwer zu glauben ist jedenfalls, dass den Autoren des Buches nicht klar gewesen sein soll, dass die Form der Allegorie Kindern, die Geschichten um der Geschichte willen lieben, in der Regel nicht zugänglich ist. Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel stellt schließlich Fragen, die Kinder nicht stellen, und befriedigt Bedürfnisse, die Kinder nicht haben. Eher ist doch anzunehmen, dass Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel den wohlfeilen Versuch darstellt, in auch schlichtesten Gemütern zugänglicher Form primitiv-antireligiöse Klischees zu verbreiten. Die Verkaufszahlen des Buches geben diesem Versuch recht. Aber auch nur diese.

Nun zum zweiten Kritikpunkt: Sehen wir uns die Darstellung der monotheistischen Religionen ein wenig näher an, so rechtfertigen diese allerdings den Verdacht auf Antisemitismus, dem Schmidt-Salomon und Nyncke sich ausgesetzt sahen. So bleibt es in dem Buch vor allem dem Rabbi vorbehalten, Gott als sadistischen Wüterich zu verkündigen, damit dem antijudaistischen Stereotyp vom alttestamentarischen Rachegott Vorschub leistend. Zudem zeigt Schmidt-Salomon sich als auf blamable Weise uninformiert über die jüdische Religion, wenn etwa eine Synagoge als »Tempel« bezeichnet oder behauptet wird, diese dürfe nur von jüdischen Menschen betreten werden. Auch dies letztere ist ein alter Topos antisemitischer Agitation, der die Abgrenzung der Juden gegen die Mehrheitsgesellschaft mit einem angeblichen jüdischen Überlegenheitsgefühl erklären und damit die Ghettoisierung und Stigmatisierung, der sich das jüdische Volk jahrhundertelang ausgesetzt sah und noch sieht, verschleiern will. Ob Schmidt-Salomon solche Ressentiments absichtlich oder unbewusst bedient, muss ich hier offenlassen. Schlimm ist allein schon ihr Vorhandensein. Ähnlich ignorant wie das Judentum wird der Islam abgehandelt. Schmidt-Salomon scheint in Bezug auf diesen ähnlich unwissend zu sein wie in Sachen jüdische Religion: Seinen Mufti lässt er behaupten, man müsse Muslim werden, um Gott kennenzulernen, was nicht gerade für Schmidt-Salomons Korankenntnis spricht.****

Die derzeit von Autoren wie Richard Dawkins und Christopher Hitchens popularisierte, von Gruppen wie den Brights und der Giordano-Bruno-Stiftung vertretene weltanschaulich motivierte Religionskritik wurde durch Schmidt-Salomons und Nynckes Buch insofern auf eine neue Ebene erhoben, als dass sie antisemitische Stereotypen in einer Form aufnimmt, die an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig lässt. Vor diesem Hintergrund erscheint der Indizierungsantrag des Bundesfamilienministeriums plötzlich gar nicht mehr so absurd, wie beklagenswert lächerlich die Argumentation des Antrags im einzelnen auch sein mag. Um zu dieser Annahme zu kommen, ist es gar nicht mal nötig, das Buch in eine Reihe mit Stürmer-Karikaturen zu stellen, wie einige VertreterInnen von Religionsgemeinschaften und Medien es vorschnell (und weitgehend ungerechtfertigt) taten.

Ebenso bleibt aber zu konstatieren, dass der Antrag dankenswerterweise abgelehnt wurde. Denn neben allen generellen Vorbehalten gegen Zensur (die die Indizierung immer auch ist), wäre das Buch, einmal auf dem Index gelandet, nur unnötig aufgewertet worden. Noch immer ist der antireligiös-fundamentalistische Naturalismus, wie Schmidt-Salomon, seine Stiftung und die gegenwärtige religionskritische Bewegung ihn vertreten, eine – wenn auch lautstarke – Minderheitenposition, die bislang an der Indifferenz der Mehrheit gegenüber religiösen Fragen nichts ändern konnte (daher der Titel dieses Eintrags). Es wird aber auch deutlich, dass der jeglicher Dialektik abholde Aufklärungsfundamentalismus, wie gerade die grenzdebil-verblödeten, oft ihrerseits gegen jegliche Kritik immunisierten ReligionskritikerInnen ihn vertreten, kein Verbündeter in der Auseinandersetzung mit religiösem Fundamentalismus und Obskurantismus ist, sondern im Gegenteil diesem an Intoleranz und Vorurteilsbeladenheit nur wenig nachsteht. Eine seriöse, nicht an intellektueller Verflachung leidende Religionskritik, die auch außerhalb akademischer Kreise diskutiert wird, ist dagegen verzweifelt vonnöten.

* Eine Zusammenfassung bietet der Wiki-Artikel.
** Womit natürlich nicht gesagt ist, dass ein Buch auch Kindern und Erwachsenen gleichermaßen – oder auf je unterschiedliche Weise – zugänglich sein kann. Bestenfalls ist das so.

*** Die Illustrationen zu dem Buch können hier betrachtet werden.
**** Zu den strukturellen Ähnlichkeiten von »Israelkritik« und »Islamkritik« vergleiche diesen lesenswerten Artikel auf haGalil.com. Auch in der Darstellung des (katholischen) Christentums durch Schmidt-Salomon sind bemerkenswerte Kontinuitäten zu antisemitischen Mythen erkennbar: Bekanntlich wurde dem Judentum traditionell die Schlachtung christlicher Kinder vorgeworfen, um aus ihnen Hostien herzustellen. Ein ähnlicher Kannibalismusvorwurf wird im Buch gegen das Christentum erhoben.

2 Kommentare:

Reitersmann hat gesagt…

Ja, ich erinnere mich. Und stimme diesen Ausführungen vorbehaltlos zu. Es geht Herrn S.-S. entweder um Agitation, um Neurosenpflege oder um die Anwerbung zahlender Mitglieder für die G.B.-Stiftung. Vermutlich alles zusammen. Gruß und danke für diesen sehr klaren Artikel

Murilegus rex hat gesagt…

Kleine Ergänzung zum bereits in den Fußnoten verlinkten haGalil.com-Artikel: Micha Brumlik hat zu den gegen Wolfgang Benz erhobenen Vorwürfen, er verharmlose durch seine Vergleiche von Islamophobie und Antisemitismus den letzteren, eine Rede gehalten. Und hier wurde sie veröffentlicht: http://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/vergleichen-heisst-nicht-gleichsetzen/

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.