Samstag, 24. Juli 2010

Die Nebelkinder

Ab und an lese ich ja gern was von Jörg Kastner. Er gehört zu den grundsoliden, biederen Autoren in der deutschsprachigen Fantasy, von denen man nichts Spektakuläres (was ja ohnehin eine Seltenheit im deutschsprachigen Teil des Genres ist) zu erwarten hat, aber in der Regel auch keinen erzählerischen Totalausfällen ausgesetzt wird. Auf seiner Homepage macht er brave Witze über Finanzbeamte; und ich habe ihn im Verdacht, in seinem Forum Selbstgespräche zu führen. Dafür verfasst er keine albernen Tolkien- oder Gaiman-Plagiate, wie andere deutsche Autor_innen es gelegentlich tun.

Die Nebelkinder spielt im frühen Mittelalter. Primärer Schauplatz ist eine Abtei, in der ein brisantes politisches Treffen stattfinden soll. Es geschieht ein Mord; nur der Waisenjunge Albin, der im Kloster aufwächst, hat’s gesehen; ein kluger Mönch nimmt Ermittlungen auf usw. Die hinlänglich bekannten Ingredienzen eines Mittelalterkrimis also. Dann wird’s phantasmatisch-mysteriös, der Protagonist Albin (dessen Name ja eigentlich schon alles sagt) kommt seiner Herkunft auf die Spur, und es geht auf der Meta-Ebene plötzlich um ethnischen Hass, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit. Diese Konfliktthemen werden dargestellt anhand von rassistischen Vorurteilen der Menschen gegenüber dem titelgebenden Volk der Nebelkinder, welches wiederum in sich tief gespalten ist, Minderheiten ausgrenzt und verbissen der politischen Intrige frönt. Vom Krimi wandelt sich das Szenario schließlich zur ausgewachsenen Fantasy, mit lustigen Quatsch-Ideen – z.B. Kriegern, mit in drei Spitzen auslaufenden Schwertern bewaffnet. Ein Mittelding aus Schwert und Gabel sozusagen, wie der Roman ein Mittelding aus Krimi und Fantasy ist. Leider verliert der Autor die initiale Krimi-Handlung recht schnell aus den Augen. Mehr Indiziensuche mit der Gabel und weniger, dafür effektvollere Schwertkämpfe hätten der Handlung sicher gut getan und dem Roman etwas Mehrschichtigkeit verliehen. Man fragt sich als Leser_in nämlich, warum das Krimi-Szenario – wichtige Gesandte treffen in der Abtei ein, um schwerwiegende Entscheidungen zu verhandeln, so dass das zeitnah geschehene Verbrechen natürlich zum Politikum wird – überhaupt so detailreich aufgebaut wird, nur damit die Handlung sich gleich darauf in die Parallelwelt der Nebelkinder verlagert, die von den den zuvor eingeführten Charakteren eigentlich nur den Protagonisten Albin so richtig betrifft.

Ist dennoch okay, Die Nebelkinder zwischendurch zu lesen, auf einer Bahnfahrt vielleicht: Der Roman ist angenehm knapp gehalten und ufert nicht aus.

Die Nebelkinder von Jörg Kastner ist als gebundene Ausgabe 2000 bei Ueberreuter erschienen. Die Taschenbuchausgabe wurde 2003 von Bastei Lübbe herausgebracht.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.