Dienstag, 4. Oktober 2011

Der Friedhof in Prag

In wenigen Tagen, am 8. Oktober, erscheint Umberto Ecos neuer Roman Il cimitero di Praga in deutscher Übersetzung, die wie gewohnt von Burkhart Kroeber stammt. Viel Aufsehen hat die Aussicht auf den neuen Eco-Schmöker, der die Entstehung der infamen Protokolle der Weisen von Zion zum Thema hat, in Deutschland nicht erregt. Dabei könnte es nach Erscheinen des Romans ähnlich kontrovers zugehen wie in Italien.

Dort hat der Osservatore Romano, das offizielle Blatt des Vatikan, Il cimitero di Praga gründlich verrissen. Das ist an sich nicht weiter verwunderlich. Eco ist in Italien als scharfer Kritiker der Klüngelei zwischen katholischem Klerus und konservativer Politik bekannt. Anwürfen von kirchlicher Seite ist er seit langem ausgesetzt, wahrscheinlich schon seit er sich als junger Intellektueller, im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin, von der Kirche entfremdete. Ein dogmatischer Religionskritiker mit antiklerikalem Beißreflex ist Eco dennoch nicht geworden, wie sein respektvoller Dialog mit Carlo Maria Martini, dem aufgeschlossenen Kardinal von Mailand, zeigt.* Konservativ-katholische Kreise – auch im deutschen Sprachraum – interessiert das allerdings nicht sonderlich, und so fragt das Magazin Katholisches erwartungsvoll geifernd: »Ist Umberto Ecos neuer Roman ›Der Friedhof von Prag‹ antisemitisch?« Begründet wird die Suggestivfrage vor allem mit der Besprechung im Osservatore Romano, aus der aber ausgerechnet eine Passage zitiert wird, in der die Rezensentin Lucetta Scaraffia sich über die negative Darstellung kirchlicher Würdenträger im Roman entrüstet – womit auch schon klar sein dürfte, wo der Hund begraben liegt. Unter den großen deutschen Tageszeitungen übernahm – wenn ich die Sache richtig überblicke – bislang nur die Welt diese Sicht der Dinge. Und auch das ist wenig überraschend.

In Italien glaubt aber anscheinend niemand, der bei Verstand ist, Eco wolle im Ernst den Antisemitismus relativieren oder ihm sogar Vorschub leisten. Der Autor äußert sich seit langem kritisch zum Antisemitismus (z.B. hier im Magazin Cicero), auch seine Auseinandersetzung mit den Protokollen der Weisen von Zion dauert schon länger an.** Anfang des Jahres weilte Eco als Gast der Jerusalemer Buchmesse in Israel und erteilte zu dieser Gelegenheit Boykottforderungen gegen den jüdischen Staat eine scharfe Absage.***

Einige Besorgnis wurde von jüdischer Seite anlässlich der Veröffentlichung von Il cimitero di Praga dennoch geäußert. Der Oberrabinner von Rom, Riccardo di Segni, fragte sich, ob die ausführliche Darstellung antisemitischer Argumentationsweisen nicht potentiell gefährlich sei, auch wenn die Absicht dabei in der Entlarvung des Antisemitismus liege. Zudem veröffentlichte die jüdische Historikerin Anna Foa in den Pagine Hebraiche eine kritische Rezension, in der sie urteilte, der Roman wirke letztlich eher verwirrend als aufdeckend. Umberto Eco selbst beschreibt die Reaktionen der jüdischen Kritiker_innen in diesem Interview mit der Frankfurter Rundschau.****

Das nun sind im Grunde genau die richtigen Anfragen, die man an einen Roman mit dem erklärten Ziel, die Quellen des modernen Antisemtismus zu entmystifizieren, stellen muss. Bleibt zu hoffen, dass es nicht das Gekollere reaktionärer Kirchenfürsten und klerikaler Publizistik sein wird, welches die Debatte dominieren wird – sollte sich in Deutschland eine solche um den neuen Eco entspannen –, sondern die klugen Fragen.

* Das Gespräch zwischen Eco und Martini ist in dem Band Woran glaubt, wer nicht glaubt? (Zsolnay, Wien 1998) dokumentiert.
** Eco schrieb z.B. ein Vorwort zu Das Komplott von Will Eisner.

*** Westliche Schriftsteller_innen sehen sich immer wieder Druck von antizionistischer Seite ausgesetzt, keine israelischen Literaturpreise zu akzeptieren. In diesem Jahr betraf dies v.a. Ian McEwan, der trotz der Boykottforderungen den renommierten Jerusalem-Preis für Literatur entgegennahm.
**** Nebenbei äußert er darin seine treffende Meinung zum Ratzingerpapst: Dieser Mann ist kein großer Intellektueller, sondern ein grober Vereinfacher.

Keine Kommentare:

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.