Mittwoch, 1. August 2012

Let Me In

Als großer Fan von So finster die Nacht und Tomas Alfredsons Verfilmung des Romans habe ich mir vor einer Weile Matt Reeves’ filmische Zweitverwertung von John Ajvide Lindqvists Roman angesehen. Irgendein Kritiker (war es Roger Ebert?) meinte zu Let Me In, nun gebe es endlich ein Remake, für das Hollywood sich nicht zu schämen brauche. Das stimmt irgendwie. Let Me In ist kein peinlicher oder direkt überflüssiger Film. An Ajvide Lindqvists Roman und Alfredsons Verfilmung reicht er aber in keinster Weise heran.

Let Me In basiert wie schon die schwedische Verfilmung auf dem Drehbuch, das Ajvide Lindqvist selbst auf Grundlage seines Romans verfasst hat. Reeves nahm gegenüber Alfredsons Film allerdings einige Änderungen vor. So wurde die Erzählreihenfolge etwas umgestellt und mit dem Polizisten eine neue Nebenfigur eingeführt (eine gespensterhafte Figur, die nie namentlich genannt wird und den Film in die Nähe von M. Night Shyamalans Werken rückt). Eine weitere Nebenfigur – Håkan im Roman und im älteren Film, Thomas im neuen Film – wurde erheblich umgedeutet. Wie genau, will ich zwecks Spoilervermeidung nicht verraten. Gesagt sei allerdings, dass diese Umdeutung die gesamte Geschichte schwächt, indem er das Beziehungsgefüge zwischen Abby, Thomas und Owen (bzw. Eli, Håkan und Oskar) jeglicher Ambiguität beraubt und ihm stattdessen etwas Schicksalhaftes, Unausweichliches verleiht. Übrigens wird dadurch auch bewirkt, dass Reeves’ Film ein weitaus geschlosseneres erzählerisches Universum konstruiert als Alfredsons Interpretation, die insbesondere in der Charakterisierung Håkans einige Leerstellen stehen ließ und damit eine enge Verklammerung seines Films mit der Romanvorlage (in der die Leerstellen geschlossen werden) erreichte.

Nicht ganz nachvollziehbar ist für mich das überschwängliche Lob, dass Regisseur Reeves in den Extras der DVD Kodi Smit-McPhee zukommen lässt, dem Darsteller von Owen/Oskar. Smit-McPhees schauspielerische Leistung ist in Ordnung, aber nicht gerade überragend. Die Tatsache, dass die Figur im Film auf nahezu unerträgliche Weise überdeterminiert ist, lässt vermuten, dass Reeves in Wirklichkeit gar nicht so sehr in seinen Schauspieler verliebt ist, sondern vielmehr in seine Interpretation der Figur. Oskars sehr konkretes Leiden und sein Bemühen, dagegen anzukämpfen, wird in Reeves’ Film kaum greifbar. Zwar wird auch sein Owen in der Schule gemobbt und gedemütigt, man fragt sich aber, warum Reeves das überhaupt zeigt, während er die Figur eigentlich ganz anders angelegt hat, nämlich hart an der Grenze zum Kitsch und sie gelegentlich überschreitend: Owen ist ein Engelchen, ein kleiner Astronaut, der einsam durchs Weltall schwebt und sehnsüchtig durch ein Fernrohr blickt, um den Menschen näher zu kommen ... Das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, aber auch kaum mit weniger schwärmerischen Worten zu beschreiben, weil die gesamte Darstellung der Figur so sehr von süßlich-aufdringlichen Symbolen geprägt ist – kein Wunder, dass die Liebe zu Abby/Eli in Reeves’ Interpretation nicht nur Rettung aus der Not ist, sondern auch Schicksalszusammenhang mit Anlage zum Tragischen und wenig Raum für echte Widersprüchlichkeit, wie sie in Alfredsons Film so stark zu empfinden ist.

Auch eine weitere Ambiguität, die Alfredsons Film prägt, geht Reeves’ Werk völlig ab. Das Aufbrechen der Geschlechterdichotomie, das Alfredson so wundervoll inszeniert, wird von Reeves glattgebügelt, der Zwang zur Eindeutigkeit, den Eli und Oskar einfach ignorieren, macht Owen stellenweise ganz schön zu schaffen: Die Dramaturgie will es, dass er auf Abbys Eröffnung, »kein Mädchen« zu sein, pflichtbewusst mit der schockierten Frage nach Abbys sex-category reagiert.

Bei allem Gemecker will ich zum Schluss loben, was zu loben ist. Da ist zum einen die Performance von Chloë Grace Moretz, die als Abby eine so energiegeladene, androgyne und gefährliche Figur abgibt, dass es eine Lust ist. Auch Elias Koteas als »der Polizist« ist sehenswert. Und eine hervorragende Idee des Regisseurs war es, zu Beginn des Films Reagans berüchtigte »Evil Empire«-Rede zu zitieren. Das gibt dem ansonsten mit wolkigen Symbolen überfrachteten Let Me In ein wenig Bodenhaftung und verleitet zu der Erkenntnis, dass die Welt auf eine viel grundsätzlichere Weise nicht in Ordnung ist, als Reeves’ Film es ansonsten zu denken erlaubt.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.