Samstag, 28. Juni 2014

Tolkien standardisiert

Am 16. diesen Monats wurde eine neue Version des Zeichenkodierungs­standards Unicode veröffentlicht. Neu hinzugekommen sind im Abschnitt für Runen drei Zeichen, die den offiziellen Namen “Tolkienian extensions” tragen.

Im Hobbit hatte Tolkien die Futhark-Runen verwendet, in der Intuition, dass rätselhafte Schriftsysteme einen besonderen Reiz auf Lesende ausüben würden. (In meinem Fall eine berechtigte Annahme!) Dabei erweiterte er den Bestand an Zeichen aber, um modernes Englisch damit schreiben zu können.*

Nun wurden diese neologischen Zeichen in den international wichtigsten Standard aufgenommen – “[o]wing to the importance of Tolkien as one of the major writers of the twentieth century and in particular to the scholarly attention given to his linguistic work”, so die Begründung im Antrag für die Aufnahme der Zeichen.
Nun ist es also möglich, die Inschrift auf Thrors Karte komplett in Unicode wiederzugeben, inklusive ᛱ ‘k’, ᛲ ‘sh’ und ᛳ ‘oo’. Ja, richtig, mit 99,99%iger Wahrscheinlichkeit sind hier im Moment Kästchen mit Ziffern und Buchstaben drin – und keine Runen – zu sehen. Die Standardisierung bedeutet erstmal, dass eine Einigung besteht, welchem Code die Runen in einem Font, also einer konkreten Schriftdatei, zugeordnet werden können. Dass zwölf Tage nach der Standardisierung wohl noch kein Font mit den “Tolkienian extensions” auf den Anzeigegeräten gelandet ist, ist nicht verwunderlich. Und immerhin: hinter den Kästchen steckt ein Code, der eine eindeutige Zuordnung zu den richtigen Zeichen langfristig möglich macht.

Und weiter? Erstmal erlaube ich mir jetzt die Erwartung zu haben, dass zukünftige E-Book-Ausgaben vom Hobbit die Runen dem Standard entsprechend kodieren. Eine standardkonforme Wiedergabe des Textes als Text – und nicht etwa als Bilddatei – ist eigentlich ein Mindestmaß an Qualität. Und für Menschen mit Sehbehinderung auch ein Mindestmaß an Zugänglichkeit.
Weiterhin ist dies (nach meinem besten Wissen) das erste Mal, dass Unicode von Tolkien erfundene Zeichen hinzugefügt wurden. Die Kodierung von Tolkiens Tengwar und Cirth** ist schon länger gewünscht und auch diskutiert worden. Allerdings, bei aller Liebe und Nerdigkeit, muss ich dem bisherigen Standpunkt des Standardisierungskonsortiums zustimmen: Solange dutzende natürliche Schriftsysteme von täglich genutzten Sprachen noch nicht kodiert sind, und daher nicht effektiv an Computern genutzt werden können und bedroht sind von den dominanten Schriftsystemen überschrieben zu werden, kann Tolkien warten.

* Germanische Runen, modernes Englisch und altnordische Namen in sein Legendarium eingemischt zu haben bereute Tolkien später, und nötigte ihn zu seiner elaboraten Übersetzungsfiktion.

** Also dem von ihm neu erfundenen Runensystem – das grundsätzlich etwas anderes ist als die von ihm adaptierten Futhark-Runen.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.